Ich habe Anne M. Schüller 2010 im Rahmen des Buches Leitfaden WOM-Marketing kennengelernt zu dem ich einen Beitrag zum Thema Online PR beisteuern konnte. Jetzt hat Schüller nachgelegt. In ihrem neuen Buch Touch Points – Auf Tuchfühlung mit dem Kunden von heute beschäftigt sie sich mit den Touchpoints innerhalb von Unternehmen und jenen hin zu Kunden bzw. anderen externen Stakeholdern. Wobei diese strikte Einteilung zwischen innen und außen in vernetzten Unternehmen – Stichwort Social Business – wohl an ihre Grenzen stößt. Genug der langen Rede. Ich habe mit ihr nachfolgendes Interview geführt und so manchen spannenden Hinweis erhalten.
Ed Wohlfahrt: Sehr geehrte Frau Schüller! Sie haben Ihr neues Buch „Touchpoints – Auf Tuchfühlung mit dem Kunden von heute“ genannt. Was macht diese Touchpoints aus und was macht sie für Unternehmen relevant?
Anne M. Schüller: Was eine Marketingstrategie wirklich taugt, entscheidet sich in den ‚Momenten der Wahrheit‘ an den Kontaktpunkten (Touchpoints) eines Unternehmens.Touchpoints entstehen überall da, wo ein (potenzieller) Kunde mit den Mitarbeitern, Produkten, Services und Marken eines Anbieters direkt oder auch indirekt in Berührung kommt. An jedem Touchpoint kann es zu positiven wie auch negativen Erlebnissen kommen, die eine Kundenbeziehung stärken oder zermürben beziehungsweise eine Marke kräftigen oder bröckeln lassen. Und oft genug sind es Kleinigkeiten, die schließlich große Katastrophen bewirken. Und im Web erzählen die Betroffenen sowas dann der ganzen Welt. Deshalb muss zusammen mit den Mitarbeitern für jeden einzelnen Kontaktpunkt erarbeitet werden, wie man die Interaktion mit den Kunden besser gestalten, ihr Leben vereinfachen, ihr Dasein versüßen und ihren Nutzen vergrößern kann. Oder wie man sie emotional berühren, ihnen Zeit schenken und sie immer wieder neu überraschen und begeistern kann. Hierbei kommt es nicht nur auf Ideenreichtum und das Wissen um Kundenbedürfnisse an, sondern auch auf das ‚Wollen‘ der Mitarbeiter.
EW: Wenn Unternehmen beispielsweise mit ihren Mitarbeitern auf Tuchfühlung gehen wollen und dies über Werkzeuge des Social Intranets, Collaborations-Tools oder dergleichen tun. Welche Fehler gilt es unbedingt zu vermeiden?
AS: Es gibt ja leider immer noch Manager, die glauben, an den Rändern ihrer Organisation gäbe es kein intelligentes Leben. Dort macht die Zwangsjacke starrer Service-Normen Mitarbeiter zu Marionetten, die sich selbst den blödesten Anweisungen willenlos beugen und jedem Kunden ihre öden Standards aufoktroyieren („Das ist bei uns Vorschrift!“). Eine hohe Kundenfluktuation und herbe Reputationsschäden sind dann die Folge. Deshalb müssen die aktiviert werden, die am besten wissen, was Kunden wirklich wollen und welche Rahmenbedingungen es dazu braucht: Die Mitarbeiter, die tagtäglich ganz nah an den Kunden und Prozessen sind. Collaboration-Tools dazu gibt es reichlich. Zunächst muss man allerdings die Mitarbeiter befähigen, also mit adäquatem Wissen versorgen und in unternehmerischem Denken schulen. Entscheidend ist dann, die Mitarbeiter machen zu lassen und ihren Vorschlägen auch tatsächlich zu folgen, selbst wenn ab und an mal was in die Hose geht. Das bedeutet dann vor allem Kontrollverlust, doch sowas mögen Manager alter Schule gar nicht gern.
EW: Was tun, wenn die intern zur Verfügung stehenden Collaboration-Tools nicht angenommen werden, also nicht geteilt wird, weil es beispielsweise an der dafür benötigten Unternehmenskultur fehlt?
AS: Ja, mit der passenden Unternehmenskultur fängt alles an. Und das ist nichts, was man in einem Leitbild beschreiben und den Mitarbeitern dann an die Wand nageln kann. Unternehmenskultur muss tagtäglich von den Oberen vorgelebt werden, und sie muss regelmäßig auf den Prüfstand. Außerdem muss die Führung sicherstellen, dass es den Leuten gut geht bei der Arbeit. Sogenannte Feelgood-Manager werden sich künftig um deren Wohlergehen kümmern, für eine ‚lachende‘ Unternehmenskultur sorgen und Burnout vermeiden helfen. Denn Mitarbeiter bringen – genauso wie Spitzensportler – nur unter optimalen Bedingungen ihr Bestes.
EW: In ihrem Buch widmen Sie sich auch dem Thema Collaboration-Touchpoint, also dem Rahmen, den es braucht, damit sich Wissensarbeiter entfalten können. Wie viele Vorgaben, verbindliche Regeln aber auch Freiheit braucht es, damit Knowledge-Worker motiviert sind, gerne arbeiten, im Unternehmen länger verweilen und vor allem auch ihr Wissen mit anderen teilen?
AS: Nur in kreativen Freiräumen können Spitzenleistungen entstehen. Denn Kreativität – die Schlüsselressource der Zukunft – braucht Weite. Und sie kann sich nur in heiteren Hirnen entfalten. Der Vorgesetzte von heute ist demnach vor allem ein ‚Enabler‘, also ein Möglichmacher. Er fördert die Selbstorganisation seiner Leute und schafft Freiräume für Kundenbelange. Er brennt seine Leute nicht aus und er hält sie auch nicht ‚klein‘, er macht sie vielmehr stark, damit sie dem Unternehmen ihr ganzes Wissen und schließlich den Kunden ihre ganze Kraft geben können.
EW: Die Loyalität von Wissensarbeitern gilt heute längst nicht mehr nur dem
Arbeitgeber. An erster Stelle stehen das persönliche Netzwerk vor allem aber
auch das persönliche Wissensgebiet und Thema in dem man sich entfalten will. Was können Arbeitgeber tun, wenn sie Mitarbeiter haben wollen, die sich auch dem Unternehmen gegenüber möglichst loyal verhalten?
Im ersten Schritt gilt es zu verstehen, wie Loyalität heutzutage funktioniert. Während nämlich die Loyalität der Analog Seniors ihrer Firma gehörte, gehört die Loyalität der Digital Natives ihrem Netzwerk. Ein Unternehmen, das ihnen verbietet, ihre sozialen Netze auch während der Arbeit zu pflegen, kommt für sie nicht in Betracht. Ein zweiter Aspekt ist die Sinn-Komponente, die vor allem den topqualifizierten Wissensarbeitern sehr wichtig ist. Wenn sie zwei oder mehr Job-Angebote haben, entscheiden sie sich für dasjenige mit dem Sinn-Plus. Und ein dritter Aspekt sind persönliche Werte. Loyalität funktioniert nämlich dann am besten, wenn die Werte eines Unternehmens und die persönlichen Werte seiner Mitarbeiter ein hohes Maß an Übereinstimmung zeigen. Sich voll und ganz mit einem Unternehmen identifizieren zu können heißt dann auch, sich selber treu zu sein.
EW: In ihrem Buch raten Sie Unternehmen unter anderem dazu, mit ihren Kunden auf Tuchfühlung zu gehen, definieren hierbei Enttäuschungs-, OK- und Begeisterungsfaktoren. Wenn wir das mal auf die Realität Sozialer Medien umlegen: Was können Unternehmen tun, damit sie hier mehr Begeisterung auslösen?
AS: Bei der Betrachtung einzelner Touchpoints werden in gängigen Verfahren gern die folgenden Bewertungsstufen verwendet: negativ, neutral, positiv. Die ganze Emotionalität, die einen Kunden befallen kann und auch meistens befällt, wenn er ein Produkt ersteht oder eine Dienstleistung nutzt, kommt dabei allerdings reichlich zu kurz. Denn, wie inzwischen hinlänglich bekannt, wird jede Erfahrung, die Menschen machen, emotional markiert und so im zerebralen Erfahrungsspeicher abgelegt. Als ‚like‘ oder ‚dislike‘ wird sie dem Umfeld dann schließlich bekanntgegeben. Um diese Emotionalität sichtbar zu machen, favorisierte ich eine Vorgehensweise, bei der jeder Touchpoint auf seine Enttäuschungs-, OK- und Begeisterungsfaktoren hin analysiert wird. Und das gilt natürlich auch Online. Dazu muss man dann noch wissen, was einen Menschen bewegt. Zum Beispiel,
- wenn man ihm etwas sehr Nützliches oder etwas Unterhaltsames bietet
- oder ihm etwas völlig Neues, Einzigartiges oder Sensationelles zeigt
- oder wenn man seinen Spieltrieb und das Gewinnen wollen anregt
- oder wenn man ihm etwas gibt, mit dem er sich schmücken bzw. zu etwas Gutem beitragen kann.
EW: Welche Rolle spielen Begeisterung und Kundenverblüffung beispielsweise für Fans eines Unternehmens auf Facebook bzw. anders gefragt: Sind Fans hier überhaupt noch auf der Suche nach Begeisterung oder haben sie sich längst daran gewöhnt, von Firmen nur mit langweiligen, bestenfalls mittelmäßigen Inhalten konfrontiert zu werden?
AS: Dazu kann ich nur folgendes sagen: Anstatt weiterhin ihren Werbeschrot(t) in die Welt hinauszuballern und damit auch auf Facebook zu nerven, sollten Unternehmen ihren Fans das geben, was das Fan-Sein so besonders lohnenswert macht:
- ernst und wichtig genommen zu werden
- das Gefühl, jemand Besonderes zu sein
- die Möglichkeit, sinnvolle Beiträge zu leisten
- eingebettet in eine Gemeinschaft zu sein
- Teil von etwas Großem zu sein
EW: Sie zitieren auf Seite 235 Monica Glisenti, Leiterin Corporate Communications bei der Schweizer Migros mit den Worten „Immer wenn wir Kundenwünsche in unserem Sortiment berücksichtigen, werden wir mit Lob im Social Web belohnt“. Ist es wirklich so einfach mit dem Thema Kundenwünschen bzw. was tun, wenn man als Unternehmen von seinen Kunden noch gar nicht diskutiert wird?
AS: Wie gerade schon angeklungen: Die meisten Menschen sind beseelt von dem Wunsch, einen Beitrag für die Gemeinschaft zu leisten. Und wir alle hungern nach Aufmerksamkeit und Anerkennung. Deswegen ist eine Reaktion auf positive Hinweise im Social Web mindestens genauso wichtig wie das Umgehen mit Kritik. Wenn aber noch gar nicht über einen im Web gesprochen wird, dann gilt es, Reaktionen gezielt anzuregen und seine Kunden ein wenig zu impfen. Denn selbst, wenn diese tatsächlich begeistert sind, denken sie nicht vollautomatisch daran, eine Empfehlung auszusprechen. Bei Monarch Wildlife Cruises &Tours aus Neuseeland klingt das zum Beispiel so: „Wir freuen uns, wenn Sie Ihre Erlebnisse, Bilder und Videos mit anderen Wildlife-Fans auf unserer Facebook-Seite teilen oder uns bei TripAdvisor empfehlen“.
EW: Frau Schüller, danke für das Gespräch!